Heusenstamm

in der NS-Zeit

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DIE SYNAGOGE1

Kirchstraße 20

In diesem Gebäude befand sich – auch damals von außen nicht erkennbar - die Synagoge. Im hinteren Teil gab es einen Betsaal, der auch von Juden aus Bieber und Obertshausen genutzt wurde. Noch 1881 wurde bei der Einweihung in Anwesenheit eines Rabbiners, des katholischen Pfarrers, des Bürgermeisters und der Gemeinderäte das Einvernehmen der verschiedenen Konfessionen in Heusenstamm betont. Fast 60 Jahre später - während des Pogroms vom 9. und 10. November 1938 – wurde die Synagoge zusammen mit anderen jüdischen Häusern verwüstet. SA-Leute schlugen Fenster ein, zerstörten das Mobiliar und warfen es auf die Straße. Alle jüdischen Männer wurden verhaftet. Die jüdische Gemeinde musste selbst für die entstanden Schäden aufkommen und wurde Anfang 1939 gezwungen, das Gebäude verkaufen.

Seit mehr als 500 Jahren lebten Juden in Heusenstamm, urkundlich erwähnt wurden sie 1628. Für die Erlaubnis eine Schule, eine Synagoge und einen Friedhof zu unterhalten verlangten die jeweiligen Landesherren neben hohen Schutz- und Schirmgeldern auch Naturalien und Botengänge. Trotz dieser erkauften Duldung galten für die Juden – wie überall in Deutschland - viele Einschränkungen. Sie durften keinen Landbesitz haben und kein Handwerk ausüben.

Als Anfang des 19. Jahrhunderts die jüdische Bevölkerung volles Bürgerrecht erhielt, musste sich ihre Erwerbstätigkeit nicht mehr nur auf Geldverleih und Handel beschränken. Heusenstammer Juden waren jetzt auch als Metzger, Glaser, Bäcker, Portefeuiller oder Buchhalter tätig. Mit der 1870 verstärkt einsetzenden Industrialisierung zogen Juden vermehrt in die Städte, weil sie sich dort sozialen Aufstieg erhofften. Zurück blieben in Heusenstamm Familien, die hier als Handwerker ihr Auskommen hatten und die Alten, die den Umzug scheuten, ihre Lebensart und religiöse Tradition wahren wollten. Die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinde ging um mehr als die Hälfte zurück, unter ihnen eine große Zahl, die die Gemeindeumlagen nicht mehr aufbringen konnte.

Kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten wohnten in Heusenstamm 30 jüdische Bürgerinnen und Bürger, nicht einmal 1% der Bevölkerung. Die Mehrzahl der insgesamt 7 jüdischen Familien lebte schon seit vielen Generationen hier. Hierzu zählten die Familien Schönmann, Rollmann und Gutenstein.

Die jüdischen Familien in Heusenstamm waren nicht reich. Meist gehörte ihnen das Haus, in dem sie wohnten. Darüberhinaus besaßen die meisten Familien einige kleine Äcker und Gartenland. Ansonsten verfügten sie über kein nennenswertes Vermögen. Von den Erwerbstätigen waren zwei Fünftel als Portefeuiller tätig, die anderen drei Fünftel verdienten ihren Lebensunterhalt als Metzger oder Bäcker und im Kleinhandel, zum Teil im Wandergewerbe.

Wie ihre christlichen Nachbarn auch, achteten die meisten Heusenstamm Juden darauf, ihre religiösen Bräuche streng einzuhalten. Nach traditioneller Art feierten sie den Sabbat und ihre religiösen Feste. Tür an Tür mit den christlichen Nachbarn wohnend, gehörten diese Rituale zum Heusenstammer Alltag. Da strenggläubigen Juden am Sabbat jede Tätigkeit verboten war, übernahmen ihre christlichen Nachbarn als „Schabbesgoje“ notwendige Arbeiten. Die Nachbarskinder wurden während des Pessachfestes mit Mazze versorgt und durften sich aus der Bonbonniere im Flur bedienen.

Die Kontakte untereinander waren vielfältig, in der Nachbarschaft,in der Schule, über die Arbeit und in den Vereinen. Jüdische Vereinsmitglieder wurden in den Vorstand gewählt oder repräsentierten als Fahnenträger den Verein. Vereinsfeste wurden gemeinsam gefeiert.

Bei Familienangelegenheiten blieb man allerdings auf Distanz. Der Ehepartner wurde in einer anderen jüdischen Gemeinde gesucht. Eine Ehe zwischen Angehörigen verschiedener Konfessionen war eine große Ausnahme – das nicht nur bei Juden. Die Frau von Bernhard Frankfurter konvertierte vor der Heirat zum jüdischen Glauben. 1933 war Isidor Gutenstein als einziger Heusenstammer Jude mit einer Christin verheiratet.

Die Juden waren normale Nachbarn und Spielkameraden, und doch gab es unterschwellig noch anderes, was man weitergab. Eltern und Großeltern erzählten den Kindern Geschichten über Juden, um zu verhindern,dass sie im Dunkeln zum jüdischen Friedhof gingen, der etwas außerhalb lag.

Material:

Wie war das Verhältnis zur jüdischen Bevölkerung? (Zeitzeugen) (nachgesprochen)

Überall in Deutschland gingen SA-Truppen in der Nacht vom 9. auf den 10. November gegen jüdische Einrichtungen, Geschäfte und Wohnungen vor. Auch in Heusenstamm wurden jüdische Wohnungen verwüstet, in der Synagoge alle Fenster eingeschlagen und das Mobiliar zerstört. Maßgeblich beteiligt an dieser Terroraktion war der ehemalige Heusenstammer und damalige Dietzenbacher Bürgermeister Fickel. Aber neben den auswärtigen SA-Leuten nahmen auch Heusenstammer daran teil. Augenzeugen berichten, dass sich zwei SA Leute aus Heusenstamm dabei besonders hervorgetan haben sollen. Die Bewohner der angrenzenden Häuser wagten nicht, dem Terror Einhalt zu gebieten.

Material:

Was geschah beim Pogrom am 9.11.1938? (Zeitzeugen) (nachgesprochen)

Am Tag nach dem Pogrom wurden in Heusenstamm alle erwachsenen jüdischen Männer verhaftet. Sie wurden ins Sonderlager des KZ Buchenwald verschleppt. Dort waren sie mit 2000 Mann in unbeheizten Holzbaracken untergebracht, die nur für höchstens 500 gebaut waren. Durch Überfüllung und Wassermangel waren die sanitären Verhältnisse im Lager unvorstellbar. Essensrationierung und die winterliche Witterung schwächten die Gefangenen. Zusätzlich waren sie Opfer von Schikanen und Quälereien durch die SS-Wachmannschaften.

Die Heusenstammer Juden überlebten diese Haft und kehrten körperlich geschwächt und seelisch traumatisiert zurück. Als letzter kam Simon Eckmann nach fast 11 Wochen frei. Seine Familie hatte zuvor das Geld für die Rückfahrt anweisen müssen. Als Voraussetzung für seine Freilassung hatte er wie alle anderen ein Schweigegebot unterschreiben und sich schriftlich zur Auswanderung bereit erklären müssen.

    Quelle:

  • 1 Vgl. Beez, Fischer Kap. 9.2
    vgl. Richter-Rauch, Beez Kap. 1, 2 und 5

MEDIEN-EINTRÄGE

Kirchstraße (2. Haus links) um 1910

Kirchstraße mit Synagoge (2.Haus links) um 1910

Wie war das Verhältnis zur jüdischen Bevölkerung? (Zeitzeugen) (nachgesprochen)

Was geschah beim Pogrom am 9.11.1938? (Zeitzeugen) (nachgesprochen)