Heusenstamm

in der NS-Zeit

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Der „Isi“ aus der Borngass‘1

Borngasse 13

Hier lebten Klara und ihr Bruder Isidor, von den Heusenstammern kurz „Isi“ genannt. Ihr Haus in der Borngasse steht nicht mehr – es soll winzig gewesen sein. Schon um 1850 wird in Heusenstamm eine Familie Gutenstein erwähnt, vermutlich sind es ihre Vorfahren. Die unverheiratete Klara lebte sehr zurückgezogen, achtete streng auf die religiösen Rituale und Gebräuche. Anders dagegen der kontaktfreudige Isidor: Schon von Berufs wegen hatte er viele Außenkontakte.Er war Vertreter bei angesehenen Lederwarenfirma Goldpfeil in Offenbach und konnte repräsentieren. In seiner Freizeit nahm er am Vereinsleben rege teil, war mit etlichen Heusenstammern eng befreundet. Seine Bindung an den jüdischen Glauben war locker. Er heiratete Alice Rauscher, die keine Jüdin war, und zog mit ihr nach Offenbach.1938 kehrte er wieder nach Heusenstamm zurück. Gründe dafür lassen sich nur vermuten.

Schon vor 1933 war die Ehe zwischen Angehörigen verschiedener Konfessionen die große Ausnahme – nicht nur bei Juden. Die meist noch existierende Großfamilie wurde auch in Bezug auf die Religion als Einheit gesehen. Wer da ausscherte, riskierte soziale Isolation – vor allem in dörflichen Strukturen. Sowohl Isidor als auch Alice werden durch ihre Heirat Ausgrenzung erfahren haben. Vielleicht erklärt das ihren Umzug nach Offenbach. Mit den „Nürnberger Rassegesetzen“ 1935 verschärfte sich die Situation der Juden und der Menschen, die in sogenannten „Rasse-Mischehen“ lebten, entscheidend. Per Gesetz wurde Juden das Bürgerrecht entzogen. Sie wurden Menschen zweiter Klasse. Die Ehe zwischen Juden und Nicht-Juden war streng verboten. Wer das Verbot nicht beachtete, riskierte, wegen Rassenschande vor Gericht gestellt und hart bestraft zu werden. Bei einer bereits bestehenden Ehe wurde den Betroffenen eine Scheidung nahegelegt. Wer heiraten wollte, musste einen „Arier-Nachweis“ erbringen – für die „Reichsbürger eine Warnung, sich von Juden fern zu halten“. Ein Merkblatt gab dem Standesbeamten in Heusenstamm Auskunft, wie im Fall von „Rassenmischehen“ zu verfahren war. Wie es Alice und Isidor in Offenbach erging, wissen wir nicht. Vielleicht war auf die Eheleute auch dort der Druck so groß, dass Isidor 1938 wieder zu seiner Schwester nach Heusenstamm zog und so die Pogromnacht in Heusenstamm miterleben musste.

Klara arbeitete als Packerin bei der Gerberei Meyer und Sohn in Offenbach. Zeitzeugen berichten, dass sie unter ständigen Ängsten lebte seit die Entrechtung und Ausgrenzung der jüdischen Bürger begonnen hatte. In der Nacht vom 9. auf den 10. November drangen SA-Leute in ihr Haus ein, verwüsteten es und schossen in die Decke. Ihr Bruder wurde verhaftet. Klara floh. Wohin sie zog, ist nicht geklärt. Am 17. April 1939 ertränkte sie sich im Main. Sie wurde 50 Jahre alt. Ihr Grab findet sich auf dem neuen jüdischen Friedhof in Frankfurt unter anderen Gräbern der Juden, die zwischen1938 und 1943 vor Verfolgung und Deportation in den Tod flüchteten.

Isidor war wie die anderen Heusenstammer jüdischen Männer auch im KZ Buchenwald. Von dort wurde er im Januar 1939 nach Heusenstamm entlassen. Eine Zeitzeugin erzählt: „Alle haben ihm gesagt ‚Isi, mach dich fort nach Amerika‘. Aber der Isi hat immer nur gesagt: „Was soll ich da? Ich bin schließlich mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden. Und in Amerika lauf‘ ich dann als Proletarier rum.“ Er hoffte als Kriegsveteran auf Rücksichtnahme. Er wurde gezwungen sein Haus zu verkaufen und zog im März 1940 nach Offenbach. Von der Kaufsumme sah er nichts –sie wurde auf ein Sperrkonto eingezahlt. Wie bei anderen jüdischen Ehepartnern von Christen ist zu vermuten, dass er wiederholt Vorladungen bei der Gestapo erhielt. Im Frühjahr 1943 wurde er dann nach Auschwitz transportiert und dort im Alter von 47 Jahren ermordet. Als Sterbedatum wurde der 11. September 1943 angegeben.

Da Alice sich trotz massiven Drängens nicht scheiden ließ, wurde sie behandelt wie eine rassisch Verfolgte. Nach dem Krieg musste sie, schwer erkrankt, um Ausgleichszahlung für den erzwungenen Verkauf des Hauses in der Borngasse und um eine Rente kämpfen. Der im Wiesbadener Staatsarchiv dokumentierte mühsame und langwierige Rechtsstreit zermürbte sie körperlich und seelisch.

    Quelle:

  • 1 Vgl. Beez, Fischer, Kap. 9.3 und Richter-Rauch, Beez, Kap 13

MEDIEN-EINTRÄGE

Stolpersteine für Klara und Isi

Stolpersteine für Klara und Isi

Isidor Gutenstein (links) mit zwei Freunden (ca. 1930)

Isidor Gutenstein (links) mit zwei Freunden (ca. 1930)

Klara Gutenstein (ca.1910)

Klara Gutenstein (ca.1910)

Klara (2. Reihe, 2. von links) bei der Mädchen-und Bubenriege des Turnvereins (ca.1910)

Klara (2. Reihe, 2. von links) bei der Mädchen-und Bubenriege des Turnvereins (ca.1910)

Zeitzeugen erinnern sich an ‚Isi‘ (nachgesprochen)