Heusenstamm

in der NS-Zeit

6

Familie Rollmann – eine alteingesessene Metzgerfamilie1

Schulstraße 3

In der Schulstraße 3 wohnte Hugo Rollmann zusammen mit seiner Frau Rosa, seinem kleinen Sohn Helmut und seiner verwitweten Mutter Jenny. Das damalige Haus hat wenig Ähnlichkeit mit dem heutigen. Es wurde mehrfach umgebaut. Nebenan in der Eckgasse 2 – die Heusenstammer sagten „Judeneck“ dazu - wohnte seine Tante Sara und sein Onkel Julius. Rollmanns lebten seit vielen Generationen in Heusenstamm und Hugo gedachte dies fortzuführen. Er heiratete 1931, sein Sohn Helmut wurde 1934 geboren. Er betrieb die ererbte Metzgerei, von der die Familie gut leben konnte. Die Heusenstammer kauften gerne bei ihm, weil die Waren frisch und lecker waren.

In Heusenstamm wurde der reichsweite Aufruf zum Boykott jüdischer Geschäfte anfangs nur sehr zögerlich befolgt, schließlich zeigten dann aber auch hier Einschüchterung und Propaganda Wirkung. Immer weniger Kunden wagten den Verkaufsraum der Metzgerei zu betreten, der Verkauf fand zunehmend heimlich durch die Hintertür statt. Aber dann war auch das nicht mehr möglich. Hugo Rollmann wurde der Führerschein entzogen und im Oktober 1938 vom NS-Bürgermeister Schlachthausverbot erteilt: „Da sie anscheinend die Zeichen der Zeit nicht von selbst verstehen, erteile ich Ihnen ausdrücklich Schlachthausverbot". Ohne dieses Nutzungsrecht musste Hugo Rollmann seinen Laden schließen. Die Familie war auf Rückgriff auf ihr Gespartes, auf Unterstützung von Verwandten und der Jüdischen Gemeinde angewiesen. Letzteres war kaum möglich, gab es doch in Heusenstamm keine reichen Gemeindemitglieder, die die Kasse hätten füllen können.

Material:

Zeitzeugen erinnern sich an die Rollmanns (nachgesprochen)

Führerscheinentzug und Schlachthausverbot 2 (nachgesprochen)

Auf Grundlage der Verordnung über die „Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben“ vom November 1938 wurden alle jüdische Besitzer gezwungen ihre Läden und Betriebe zu schließen oder zu verkaufen. Das betraf neben den Rollmanns auch die Einzelhandelsgeschäfte von Moritz Frankfurter und Emil Schönmann. Gleichzeitig wurden alle jüdischen Haus- und Grundstückseigentümer gezwungen ihren Besitz zu verkaufen. Der Preis wurde nicht frei verhandelt, sondern von amtlicher Seite festgelegt. Er lag erheblich unter dem tatsächlichen Wert.

Der Zwangsverkauf erfolgte in der ersten Hälfte des Jahres 1939. In Heusenstamm betraf das insgesamt 8 Häuser, in denen jüdische Familien seit Generationen gewohnt hatten, dazu kleine Hofflächen. Hinzu kamen noch ca. 7000 Quadratmeter Wiesen und Ackerland, zwei Häuser im Besitz der mittlerweile in Offenbach lebenden Brüder Doiny, das Gebäude der ehemals jüdischen Firma Kiewe und die Synagoge. Käufer waren nur in zwei Fällen Unternehmen, ansonsten waren es Privatleute, Nachbarn, die die günstige Gelegenheit zur Vergrößerung ihres Anwesens nutzten. So profitierten manche Heusenstammer von der Notlage der Juden und kamen auf billige Weise in den Besitz von Haus und Grundstück. Zu regelrechten Schleuderpreisen konnte die Wohnungseinrichtung der jüdischen Nachbarn erworben werden. Die jüdischen Familien standen unter Druck. Neben den Kosten für ihren Lebensunterhalt brauchten sie Geld für die im November 1938 verordnete „Judenvermögensabgabe“ an den NS-Staat

  • 20% des individuellen Gesamtvermögens, in 4 Raten bis August 1939 zu zahlen – und für die Auswanderung, die viele von ihnen nach der Rückkehr der Männer aus dem KZ Buchenwald intensiv betrieben haben.

Der Erlös aus den Verkäufen ging auf ein Sperrkonto, auf das der ehemalige Eigentümer nur in Ausnahmefällen Zugriff hatte. Auch der Käufer des Hauses der Rollmanns in der Schulstraße - die Spar- und Kreditbank Heusenstamm – überwies den Kaufpreis in Höhe von 8700 Reichsmark gemäß Sicherungsanordnung auf ein Sperrkonto. Nur unter erheblichem bürokratischen Aufwand und abhängig vom Gutdünken der beteiligten Finanzbeamten erhielt Hugo Rollmann - nach der Zwangsschließung . seiner Metzgerei ohne Erwerbseinkommen – die Zustimmung über 500 Reichsmark für den Lebensunterhalt für sich und seine Familie verfügen zu können.

Ohne Metzgerei und Haus gab es für sie keine Existenzmöglichkeit mehr in Heusenstamm. Deshalb zog Hugo Rollmann mit seiner Familie nach Frankfurt – auch in der Hoffnung, durch die Anonymität der Großstadt und die Unterstützung der dortigen jüdischen Gemeinde bessere Möglichkeiten zu finden. Ihnen wurde eine Unterkunft im Haus Unterlindau 74 zugewiesen, in dem bereits ihr Onkel Julius und ihre Tante Sara, mittlerweile beide weit über 70 Jahre alt, lebten. Im Laufe des Jahres wechselten beide ins Altersheim, Julius in Frankfurt, Sara in Mainz. Welche Gründe dazu führten und warum beide räumlich getrennt wurden, darüber lassen sich nur Vermutungen anstellen.

Da per Gesetz den „arischen“ Hausbesitzern eine Vermietung an „nicht-arische“ Mieter verboten war, sammelten sich die jüdischen Familien in Häusern, die entweder nach Auswanderung der jüdischen Eigentümer in die Verwaltung der Jüdischen Gemeinde übergegangen waren und in denen Wohnungen leer standen, oder in Häusern aus jüdischem Besitz, die den vom Land kommenden Juden durch Zwangszuweisung zugeteilt wurden. So wurden diese Häuser schleichend zu so genannten Ghettohäusern. Ab 1940 waren viele dieser Häuser überfüllt. Dennoch boten sie den Menschen Schutz und bescheidene Rückzugsmöglichkeiten, insbesondere, da diese draußen nur auf Ablehnung trafen und ständig Angst vor Denunziation haben mussten. Die Gestapo hatte leichte Kontrollmöglichkeiten über diese Häuser. Als ab 1941 die großen Deportationen in den Osten begannen, hatten sie schnellen Zugriff.

Nach seiner fast 5- wöchigen Haft im KZ Buchenwald, in das Hugo Rollmann wie alle jüdischen erwachsenen Männer aus Heusenstamm nach der Pogromnacht 1938 eingeliefert worden war, musste auch er unterschreiben, sich schnellstmöglich um die Auswanderung zu kümmern. Die wirtschaftliche Existenz der Familie war zerstört. Um wenigstens ihr Leben zu retten, bereiteten Hugo und seine Frau Rosa mit Beginn des Jahres 1939 ihre Auswanderung nach Amerika vor. Sie planten intensiv den Umzug. Viele Vorschriften mussten peinlichst genau befolgt werden, sollte das Vorhaben eine Chance auf Realisierung haben. Über Rosas Schwester Frieda, die mit ihrer Familie in die Vereinigten Staaten hatte fliehen können, versuchten sie die Bedingungen für die Visum zu schaffen. Sie erstellten bereits detaillierte Umzugslisten, auch für den 7jährigen Helmut: 2 Anzuegelchen, 1 Maentelchen… - doch vergebens. Am 19. Oktober 1941 wurden sie aus ihrer Frankfurter Wohnung geholt. Sie mussten Koffer packen und wurden zu Fuß mit anderen in großen Gruppen durch die Stadt zur Großmarkthalle im Frankfurter Ostend getrieben.

Mit den ersten Massendeportationen wurden sie in das Ghetto Lodz im besetzten Polen verschleppt. Dort herrschten menschenunwürdige Zustände. Es war überfüllt. Zu den polnischen Juden kamen ungefähr 20 000 Menschen aus dem Reichsgebiet hinzu. Ein Großteil von ihnen wurde in das Todeslager Chelmno (Kulmhof) deportiert. Dort wurden sie unter einem Sonderkommando in „Gaslastwagen“ ermordet. Es ist wahrscheinlich, dass auch Hugo, Sara, Helmut und Jenny auf diese Weise getötet wurden.

Julius zog 1940 in ein jüdisches Altersheim in Frankfurt. Von hier wurde er im Alter von fast 80 Jahren 1942 nach Theresienstadt deportiert. Dort starb er 4 Wochen nach seiner Ankunft. Seine Schwester Sara lebte ab 1940 im jüdischen Altersheim in Mainz. Von hier wurde sie im Sommer 1942 nach Darmstadt verschleppt. Zusammengepfercht mit unzähligen Juden in einer Schulturnhalle lebte sie dort bis zu ihrer Deportation nach Theresienstadt. Wenige Tage, bevor Sara im Ghetto eintraf, war dort ihr Bruder gestorben. Ein halbes Jahr später starb auch sie im Alter von 78 Jahren.

    Quelle:

  • 1 Vgl. Beez, Fischer, Kap. 9 und Richter-Rauch, Beez, Kap 6,7,8,13
  • 2 Stadtarchiv Heusenstamm, Abt. 13

MEDIEN-EINTRÄGE

Hugo Rollmann (Mitte)

Hugo Rollmann (Mitte)

Hugo Rollmann

Hugo Rollmann

Rosa Rollmann mit ihrer Nichte

Rosa Rollmann mit ihrer Nichte

Wohnhaus von Sara und Julius Rollmann

Wohnhaus von Sara und Julius Rollmann

Stolpersteine für Sara und Julius

Stolpersteine für Sara und Julius

Stolpersteine für Jenny, Hugo, Rosa und Helmut

Stolpersteine für Jenny, Hugo, Rosa und Helmut

Zeitzeugen erinnern sich an die Rollmanns (nachgesprochen)

Führerscheinentzug und Schlachthausverbot 2 (nachgesprochen)