Heusenstamm

in der NS-Zeit

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Familie Frankfurter – Moritz und Bernhard: zwei ungleiche Brüder1

Frankfurter Str. 55

Auch die Familie Frankfurter war eine alteingesessene jüdische Familie. In der Frankfurter Straße 55 wohnte Moritz Frankfurter zusammen mit seiner Frau Ida, seinen Töchtern Bertha und Ruth. Sein jüngerer Bruder Bernhard wohnt zeitweise bei ihm, zeitweise in Offenbach. Während Moritz mit seiner Familie entsprechend den jüdischen Traditionen lebte und 1929 sogar Vorsteher der jüdischen Gemeinde wurde, war Bernhard, von den Heusenstammern Barrad genannt, lebenslustig und unangepasst. Da er auch in der Öffentlichkeit kein Blatt vor den Mund nahm, geriet er schnell in Konflikt mit den Nationalsozialisten.

Wie viele Heusenstammer war Moritz Frankfurter gelernter Portefeuiller und hatte in seinem Wohnhaus eine Werkstatt. In seinem Heimarbeitsbetrieb arbeitete er mit zwei Angestellten bis 1928 für größere Lederwarenfirmen. Dann stieg er auf Textilbearbeitung um und führte sein Einzelhandelsgeschäft für Manufakturwaren bis zur Zwangsschließung durch die Nationalsozialisten.

Moritz und Ida Frankfurter hatten zwei Töchter: Bertha und Ruth. Bertha, die 7 Jahre Ältere, trafen die Maßnahmen der Nationalsozialisten zunächst weniger einschneidend. Sie konnte noch ab 1935 die Kaufmännische Berufsschule in Offenbach besuchen und fand eine Lehrstelle in Lohr am Main. Mit Freunden aus Bieber gelang ihr die Flucht vor den Nazis in die USA. Sie überlebte als einzige der Familie. Nach dem Krieg war sie einige Male in Heusenstamm, besuchte aber stets nur ihre enge Freundin Ilse. Zeitzeugen berichten, dass sie andere Kontakte entschieden abgelehnt hat. Ruth zog Ende 1938, knapp zwei Wochen nachdem ihr Vater aus dem Konzentrationslager Buchenwald zurückgekehrt war, zusammen mit ihren Eltern nach Frankfurt. Vor ihrer Ausreise in die USA wohnte auch noch Bertha für eine Woche bei ihnen. Am 1. Februar 1939 hieß es dann Abschied nehmen. In Frankfurt erschwerten viele alltägliche Schikanen das Leben der Familie. Dokumente zeigen, dass Moritz nur per Antrag über seinen Arbeitslohn verfügen konnte, vom Geld aus dem Zwangsverkauf seines Hauses in Heusenstamm ganz zu schweigen. 1942 wird die Familie von Frankfurt aus in ein Lager bei Lublin verschleppt. Dort gelten Moritz und Ida als verschollen. Der Tod von Ruth wird nachträglich auf den 31.12.1945 festgesetzt.

Bernhard, der 12 Jahre jüngere Bruder von Moritz Frankfurter, zog bald nach Offenbach. Mit seiner Frau Anna, die zum jüdischen Glauben konvertiert war, kehrte er aber wieder nach Heusenstamm zurück, zog erst zu Moritz ins Elternhaus und dann in die Nachbarschaft. Er wechselte häufig die Arbeitsstelle, war mal Portefeuiller, mal Metzger, mal Koch. Lebenslustig und kontaktfreudig ging er oft in die Wirtschaft, schmiss auch mal eine Runde. Mit Kindern verstand er sich besonders gut, spielte mit ihnen Fußball und zeigte Zaubertricks. Mit seinen Äußerungen war Bernhard nicht vorsichtig, er hat die Dinge sehr direkt benannt, gefährlich in einer Zeit, in der abweichende Positionen als Bedrohung von Reich und Führer gewertet wurden.

Als er wegen kleinerer Eigentumsdelikte mit dem Gesetz in Konflikt kam, drohte ihm die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft. Die Nazis erkannten jedoch schnell, dass sie einen dann Staatenlosen nicht so leicht ausweisen konnten und nahmen davon Abstand. Immer wieder bereitete ihm seine direkte Art Schwierigkeiten mit der NS-Obrigkeit.

  • Als Bernhard sich weigerte, eine ihm vom NS-Bürgermeister zugewiesene Pflichtarbeit zu leisten, kam er für 8 Wochen ins Konzentrationslager Osthofen. Dort wurde er geschlagen.
  • Im Sommer 1934 wurde er erneut in Untersuchungshaft genommen. Zur Last gelegt wurden ihm „abfällige Äußerung über die Maßnahmen der Regierung“. Gerichtsakten zeigen: Nachbarn haben ihn denunziert und traten vor Gericht als Zeugen auf: Auf dem Weg über den Hof soll er laut gesagt haben: „Der verdammte Hitlerkram hat mir mein ganzes Geschäft kaputt gemacht“. Ein Sondergericht verurteilte ihn deshalb zu sieben Monaten Gefängnis, er wurde in Butzbach inhaftiert und dann aber aufgrund einer Amnestie freigelassen.
  • Anfang 1938 wurde er im Zusammenhang mit der Verordnung zur „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung durch die Polizei“ festgenommen und zeitweise in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Buchenwald inhaftiert.
  • Die Nazis zwangen ihn bis spätestens 31.Juli 1939 das Lend zu verlassen. Bernhard floh vor weiteren Verfolgungsmaßnahmen der Gestapo nach Brüssel. Dort arbeitete er zunächst als Koch. Im Zuge der Besetzung Belgiens durch die Deutschen verlor er als im Ausland lebender Jude die deutsche Staatsbürgerschaft. Ein Arbeitseinsatzbefehl brachte ihn in ein Sammellager der SS für Juden. Von dort wurde er nach Auschwitz deportiert. Es wird angenommen, dass er bereits auf dem Transport oder direkt nach seiner Ankunft zu Tode kam oder ermordet wurde.

Material:

Sieben Monate Haft wegen einer beiläufigen Bemerkung 2 (nachgesprochen)

letzte Aufforderung Deutschland zu verlassen 3 (nachgesprochen)

Bernhard Frankfurter im Zug nach Auschwitz (Zeitzeuge) (nachgesprochen)

    Quelle:

  • 1 Vgl. Beez, Fischer, Kap. 9 und Richter-Rauch, Beez, Kap 14,15
  • 2 Urteil gegen Bernhard Frankfurter vom 30.7.1934 Hauptstaatsarchiv Darmstadt G27, Nr.314
  • 3 Stadtarchiv Heusenstamm

MEDIEN-EINTRÄGE

Bertha Frankfurter (vor der Lehrerin stehend) bei der Einschulung 1927

Bertha Frankfurter (vor der Lehrerin stehend) bei der Einschulung 1927

Bertha Frankfurter

Bertha Frankfurter

Bertha Frankfurter bei ihrer einschulung

Bertha Frankfurter bei ihrer Einschulung

Ruth Frankfurter (erste von rechts) bei der Einschulung 1934

Ruth Frankfurter (erste von rechts) bei der Einschulung 1934

Ruth Frankfurter

Ruth Frankfurter

Sieben Monate Haft wegen einer beiläufigen Bemerkung 2 (nachgesprochen)

letzte Aufforderung Deutschland zu verlassen 3 (nachgesprochen)

Bernhard Frankfurter im Zug nach Auschwitz (Zeitzeuge) (nachgesprochen)