Heusenstamm

in der NS-Zeit

1

ALTES RATHAUS1

Heute: Haus der Musik
Schlossstraße 10a

Das heute als „Haus der Musik“ genutzte Gebäude war zunächst Schule und ab 1925 Rathaus.Hier befand sich der Sitz der Gemeindeverwaltung und das Büro des Bürgermeisters, hier tagte der Gemeinderat. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Reich am 30. Januar 1933 wurden alle wichtigen Posten von Parteigenossen übernommen. So wurde auch in Heusenstamm der langjährige Bürgermeister Josef Kämmerer entlassen und durch den NS-Ortsgruppenleiter Anton Fornauf ersetzt, der Gemeinderat aufgelöst und mit NSDAP-Anhängern besetzt. Der Gemeinderat hatte jetzt keine politische Funktion mehr. Vom alten Rathaus aus wurde ab Mai 1933 Heusenstamm im Sinne der Nationalsozialisten verwaltet, die Maßnahmen des NS-Staates umgesetzt.

Heusenstamm war zu Beginn der NS-Herrschaft ein kleiner Ort, umfasste im Wesentlichen den Bereich süd- und nördlich der Frankfurter Straße zwischen Bahn und Friedhof. Nach Westen gab es Bebauung entlang der Frankfurter Straße bis zur evangelischen Kirche und entlang der Hohebergstraße.

Heusenstamm hatte 3310 Einwohner, fast 90% waren katholisch, 9% evangelisch und 1 % jüdisch.

Heusenstamm war damals schon lange kein bäuerliches Dorf mehr. Immer weniger Menschen arbeiteten in der Landwirtschaft. Gab es um 1900 noch 31 Vollbauern, so ging ihre Zahl stetig zurück, weil viele angesichts der schlechten Bodenqualität mit Mühe ihr Auskommen hatten. Die Bewohner fanden zunehmend Beschäftigung in der Offenbacher Leder- und metallverarbeitenden Industrie, in der Bauwirtschaft und im Handwerk. Weit verbreitet war die Tätigkeit als Portefeuiller („Babscher“). Sie erledigten in Heimarbeit Aufträge für große Offenbacher Lederwarenfirmen und kleine Heusenstammer Betriebe. Durch den hohen Anteil lohnabhängiger Einwohner hinterließ die Weltwirtschaftskrise von 1929 auch in Heusenstamm deutliche Spuren. Ein erheblicher Teil der Familien musste von Wohlfahrtsunterstützung leben, die finanziellen Mittel der Gemeinde waren bald so ausgeschöpft, dass im Januar 1933 den Gemeindebeschäftigten kein Gehalt mehr ausgezahlt werden konnte.

Material:

Hungerwinter steht vor der Tür - Bürgermeister Kämmerer (SPD) ruft zur Solidarität auf (Nov.1932) (nachgesprochen)

Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung zeigte sich auch in den Heusenstammer Ergebnissen der Reichstagswahlen: Führende politische Kraft war seit etwa 1900 die SPD, die mit Joseph Kämmerer von 1904 bis 1933 den Bürgermeister stellte. Ab 1919 musste sie ihr Wählerpotential in zunehmendem Maße mit der KPD teilen. Beide Arbeiterparteien verfügten in Heusenstamm fast durchgängig über die Hälfte der Wählerstimmen. Ähnlich konstant waren in Heusenstamm die Resultate des Zentrums, der Partei des politischen Katholizismus mit ausgeprägter konservativer Grundhaltung. Gut ein Drittel der Wähler stimmte regelmäßig für das Zentrum. Bei den letzten freien Wahlen zum Reichstag im November 1932 wurde es sogar mit 36,4% stärkste Kraft. Die NSDAP erreichte mit 11% nicht einmal ein Drittel ihres Ergebnisses auf Reichsebene.

Als Antwort auf die Machtübernahme der Nationalsozialisten auf Reichsebene am 30. Januar 1933 fanden in Heusenstamm Anfang Februar gemeinsame Protestmärsche aller Antifaschisten statt. Die Nationalsozialisten reagierten rasch mit einem Verbot aller öffentlichen Versammlungen. Gleichzeitig versuchten sie durch Einschüchterung und Terror jede politische Opposition zum Schweigen zu bringen. Vor allem KPD-Anhänger waren von einer Verhaftungswelle durch die SA betroffen. August Grieger und Jean Kaiser gehörten zu denen, die verhaftet wurden. Sie wurden nach Offenbach gebracht, dort verhört und geschlagen. Nach mehr als 3 Wochen unter unsäglichen Haftbedingungen wurden sie eingeschüchtert und misshandelt entlassen. Den Verhaftungen folgten weitere alltägliche Kontrolle, Demütigung und Schikane – oft in aller Öffentlichkeit. So mussten ortsbekannte Gegner der NSDAP auf dem Schulhof zur Kontrolle antreten oder ehemalige sozialdemokratische Gemeindevertreter sich zweimal am Tag im Rathaus melden. Bereits im April 1933 war in Heusenstamm ein öffentliches Auftreten der politischen Opposition nicht mehr möglich. Wenige Monate später wurden dann auf Reichsebene alle anderen Parteien außer der NSDAP verboten und damit per Gesetz abgesegnet, was nationalsozialistische Willkür und Terror bereits vollzogen hatten.

Material:

August Grieger berichtet von seiner ersten Verhaftung (10.3.1933) 2 (nachgesprochen)

Verhalten der Menschen in Heusenstamm nach Machtübernahme (nachgesprochen)

Auch die Übernahme der lokalen Verwaltungen sicherten die Nationalsozialisten durch Erlasse und Verordnungen formaljuristisch ab. Auf Grundlage einer Verordnung, die die Entlassung missliebiger Bürgermeister ermöglichte, wurde auch der Heusenstammer Bürgermeister Kämmerer nach fast 30 Amtsjahren vorzeitig entlassen und durch den NS-Ortsgruppenleiter ersetzt. Auch der bisherige Gemeinderat wurde aufgrund eines Gesetzes im April 1933 aufgelöst. Der neue Gemeinderat musste sich entsprechend der Ergebnissen der Reichstagswahl vom März 1933, die keine freien Wahlen mehr waren, neu konstituieren. Obwohl dabei die Stimmen, die für die KPD abgegeben wurden, unberücksichtigt blieben, brachte die neue Sitzverteilung der NSDAP rechnerisch keine Mehrheit: das Zentrum erhielt 5 Sitze, die SPD 4 und die NSDAP 3 Sitze. Dennoch gab es bei der Eröffnungssitzung des neuen Gemeinderats keine Opposition mehr, da alle Abgeordneten der SPD zusammen mit einem Zentrumsvertreter der Sitzung fern blieben und die verbliebenen 4 Zentrumsabgeordnete dem NS-Bürgermeister jegliche Unterstützung zusagten.

Die regimetreuen „Offenbacher Nachrichten“ berichteten begeistert, dass bei der Eröffnungssitzung der festliche geschmückte Saal bis zum letzten Platz besetzt war. Die Zahl der Unterstützer des neuen Regimes hatte sich erheblich vergrößert. Obwohl Beisitzer und Ausschussmitglieder benannt wurden, hatten sie keine Mitwirkungsmöglichkeiten mehr. Das Sagen hatte der NS-Bürgermeister, der - oft vorauseilend und übereifrig – ausführte, was vom Kreis- oder Gauleiter vorgegeben wurde. Kritische Pressestimmen gab es nicht mehr: Das sozialdemokratische „Offenbacher Abendblatt“ war bereits verboten, die bürgerliche „Offenbacher Zeitung“ wurde von den Nationalsozialisten kontrolliert.

Material:

Bericht über die Eröffnung des neuen Gemeinderats (23.5.1933)3 (nachgesprochen)

    Quelle:

  • 1 Vgl Beez,Fischer, Spurensuche: Heusenstamm in der NS-Zeit, Kapitel 1, 3, 4, 6
  • 2 nachgesprochen nach einem Interview, das August Grieger 1984 gegeben hat
  • 3 Offenbacher Nachrichten vom 23.5.1933, Stadtarchiv Offenbach
  • 4 Stadtarchiv Heusenstamm Abt. V, Abschn.1 Konv.2, Fasz.11

MEDIEN-EINTRÄGE

Wahlergebnis der Reichstagswahlen in Heusenstamm und im Reich

Wahlergebnis der Reichstagswahlen in Heusenstamm und im Reich

* diese Wahlen fanden bereits unter nicht-demokratischen Voraussetzungen statt

Wahlergebnis der Reichstagswahlen im Reich

Wahlergebnis der Reichstagswahlen im Reich

* diese Wahlen fanden bereits unter nicht-demokratischen Voraussetzungen statt

Wahlergebnis der Reichstagswahlen in Heusenstamm

Wahlergebnis der Reichstagswahlen in Heusenstamm

* diese Wahlen fanden bereits unter nicht-demokratischen Voraussetzungen statt

Erntedankgottesdienst im Schloßhof (Oktober 1933)

Erntedankgottesdienst im Schloßhof (Oktober 1933)

Heusenstamm Luftaufnahme um 1933

Heusenstamm Luftaufnahme um 1933

Schloßstraße (um 1911)

Schloßstraße (um 1911)

Frankfurter Straße (um 1915)

Frankfurter Straße (um 1915)

Hungerwinter steht vor der Tür - Bürgermeister Kämmerer (SPD) ruft zur Solidarität auf (Nov.1932) (nachgesprochen)

August Grieger berichtet von seiner ersten Verhaftung (10.3.1933) 2 (nachgesprochen)

Bericht über die Eröffnung des neuen Gemeinderats (23.5.1933)3 (nachgesprochen)

Verhalten der Menschen in Heusenstamm nach Machtübernahme (nachgesprochen)